Agiles Testen vs. Klassisches Testen – Warum beide Ansätze ihre Berechtigung haben
Testmethoden im Vergleich – klassisch und agil
In modernen Softwareprojekten treffen zwei Kulturen aufeinander: klassische Testmethoden mit klaren Prozessen, Dokumentation und Kontrolle – und agile Testansätze, die auf Zusammenarbeit, Anpassung und kontinuierliche Verbesserung setzen. Beide verfolgen dasselbe Ziel: stabile, hochwertige Softwareprodukte zu schaffen. Doch sie unterscheiden sich in Philosophie, Vorgehensweise und Prioritäten. Wer nachhaltige Qualität erreichen will, muss beide Welten verstehen und wissen, wann Struktur oder Flexibilität den Unterschied macht.
Qualität ist keine Frage der Methode
Ob Wasserfall, V-Modell oder Scrum – keine Methode garantiert automatisch Qualität. Erfolgreiche Projekte entstehen, wenn Organisation, Kultur und Qualitätssicherung miteinander harmonieren. Klassische Modelle geben Stabilität, Planbarkeit und Nachvollziehbarkeit. Agile Methoden fördern Geschwindigkeit, Feedback und Teamverantwortung. Heute zeigt sich: Die besten Strategien kombinieren beides – klare Strukturen und flexible Denkweisen, die sich an reale Projektbedingungen anpassen.
Klassisches Testen – Struktur, Ablauf und Verantwortung
Was ist klassisches Testen?
Klassisches Testen folgt einer linearen, klar definierten Abfolge von Phasen. Zuerst wird geplant, dann entwickelt, schließlich getestet und abgenommen. Die Verantwortung liegt bei spezialisierten Rollen – Testmanager:innen, Testanalyst:innen, QS-Verantwortlichen. Ziel ist maximale Nachvollziehbarkeit, vollständige Dokumentation und eine objektive Beurteilung der Produktqualität. Der Prozess ist planbar, aber wenig dynamisch und damit ideal für Projekte mit festem Umfang, langen Laufzeiten und hohen Sicherheitsanforderungen.
Das V-Modell als Fundament klassischer Qualitätssicherung
Das V-Modell gehört zu den etabliertesten Vorgehensmodellen in der System- und Softwareentwicklung. Die Qualitätssicherung folgt hier einer klaren Zuordnung zwischen Entwicklungs- und Teststufen.
Modultests – die erste Verifikationsstufe
Den Anfang bilden die Modultests, die unmittelbar nach der Implementierung stattfinden. Sie prüfen, ob einzelne Softwarekomponenten oder Funktionen den spezifizierten Anforderungen aus dem Moduldesign entsprechen. Diese Tests werden in der Regel von den Entwickler:innen selbst in der Entwicklungsumgebung ausgeführt und stellen die erste Verifikationsstufe dar.
Integrationstests – Zusammenspiel der Komponenten
Sind die Module einzeln geprüft, folgt die Integrationstestphase. Hier werden Schnittstellen und Interaktionen zwischen den Modulen überprüft, um sicherzustellen, dass die Elemente des Gesamtsystems auf Architekturebene wie spezifiziert angesprochen werden können und korrekt antworten. Diese Stufe dient der Absicherung des Softwaredesigns und identifiziert Inkonsistenzen oder Fehlanpassungen zwischen Systembestandteilen.
Systemtests – das Gesamtsystem im Verbund
Darauf aufbauend schließt der Systemtest an, in dem das Zusammenspiel aller Komponenten und Module als funktionsfähiger Verbund geprüft wird. Ziel ist es, das Gesamtverhalten des Systems unter realistischen Bedingungen zu bewerten und sicherzustellen, dass es die im Systementwurf definierten Anforderungen in ihrer Gesamtheit erfüllt. In dieser Phase wird das technische Zusammenspiel des Systems als Ganzes verifiziert – bevor es in der Abnahmephase auf Anwender- und Geschäftsebene validiert wird.
Abnahme- und Validierungstests – vom System zur Nutzerakzeptanz
Den Abschluss bildet die Abnahme- oder Validierungsphase. In dieser letzten Teststufe wird das Gesamtsystem nicht nur funktional, sondern auch im Hinblick auf seine tatsächliche Gebrauchstauglichkeit und Nutzerakzeptanz bewertet. Sie bezieht sich unmittelbar auf die in der Anforderungsanalyse definierten funktionalen und nicht-funktionalen Ziele und überprüft, ob das entwickelte System im praktischen Einsatz den Erwartungen der Anwender:innen entspricht.
Neben der reinen Funktionsprüfung rücken hier insbesondere nicht-funktionale Qualitätskriterien wie Stabilität, Performance, Sicherheit oder Wiederanlaufverhalten in den Vordergrund. Sie entscheiden maßgeblich darüber, ob das System im Produktivbetrieb zuverlässig, sicher und belastbar arbeitet. Parallel dazu spielt die User Experience eine zentrale Rolle: Aspekte wie intuitive Bedienbarkeit, Reaktionsverhalten oder subjektive Zufriedenheit fließen in die Gesamtbewertung ein und bestimmen, ob das Produkt aus Anwendersicht überzeugt.
Damit stellt die Abnahmephase die Brücke zwischen technischer Qualität und tatsächlichem Nutzungserlebnis dar. Sie validiert, ob das System nicht nur „funktioniert“, sondern auch akzeptiert, verstanden und als verlässlich empfunden wird. In dieser letzten Stufe entscheidet sich, ob ein Produkt marktreif ist und ob Qualität im Entwicklungsprozess wirklich konsequent bis zum Nutzer geführt wurde.
Verknüpfung von Entwicklungs- und Testphasen
So spiegelt jede Teststufe im V-Modell ihre korrespondierende Entwicklungsphase wider – vom Moduldesign über die Architektur und den Systementwurf bis hin zur Anforderungsdefinition. Durch diese systematische Gegenüberstellung wird sichergestellt, dass alle Entwicklungsartefakte überprüfbar sind und die Umsetzung schrittweise sowohl verifiziert als auch abschließend validiert wird.
Vorteile und Stärken des klassischen Testens
Der größte Vorteil des klassischen Ansatzes liegt in seiner Verlässlichkeit und den klar definierten Zuständigkeiten in jeder Entwicklungsphase. Dokumentierte Testfälle und formale Freigaben schaffen Sicherheit für Teams, Management und Auditoren. Das Modell minimiert Projektrisiken und ermöglicht fundierte Qualitätsnachweise. In regulierten Umfeldern ist es praktisch alternativlos, weil es Prüfbarkeit und Compliance sicherstellt. Besonders wertvoll ist seine Planbarkeit in großen, komplexen Projekten.
Grenzen und Schwächen im modernen Umfeld
In dynamischen Projekten mit häufigen Anpassungen zeigt der klassische Ansatz jedoch Schwächen. Tests folgen oft erst nach Abschluss längerer Entwicklungsabschnitte, wodurch Fehler spät erkannt werden. Die starre Phasenlogik behindert schnelle Entscheidungen und Innovationszyklen. Kommunikation verläuft vertikal statt kollaborativ. In modernen Produktlandschaften mit kurzen Releasezyklen ist dieses Vorgehensmodell oft zu langsam.
Das agile Testen – Prinzipien, Ablauf und Rollenverständnis
Während das V-Modell Qualität entlang klar definierter Phasen sicherstellt, versteht agiles Testen Qualität als kontinuierlichen, integralen Bestandteil des Entwicklungsprozesses. Testen ist hier kein separater Schritt am Ende, sondern Teil jedes Entwicklungszyklus – eingebettet in kurze Iterationen, direkte Kommunikation und stetiges Feedback. Ziel ist es, Qualität nicht zu prüfen, sondern zu erzeugen, indem Tests und Entwicklung parallel entstehen und sich gegenseitig bedingen.
Prinzipien und Haltung des agilen Testens
Agiles Testen folgt einer Haltung, nicht nur einer Methode: Fehler sollen früh erkannt, Erkenntnisse schnell verarbeitet und Verbesserungen unmittelbar umgesetzt werden. Statt dokumentengetriebener Freigaben basiert der Qualitätsnachweis auf laufender Transparenz, automatisierten Feedbackmechanismen und funktionierenden Inkrementen. Jedes Ergebnis einer Iteration ist potenziell lieferfähig. Qualität wird messbar durch wiederholbare Tests, stabile Pipelines und gemeinsames Verantwortungsbewusstsein im Team.
Ablauf und methodische Einbettung
Im agilen Entwicklungszyklus – etwa in Scrum – beginnt Testen bereits bei der Formulierung der User Stories. Jede Story enthält klare Akzeptanzkriterien, die sowohl fachliche Anforderungen als auch technische Prüfbedingungen definieren. Tester:innen und Entwickler:innen arbeiten eng zusammen, um sicherzustellen, dass Anforderungen testbar, nachvollziehbar und automatisierbar sind.
Während des Sprints entstehen Tests parallel zum Code: Unit-Tests werden in der Entwicklungsumgebung implementiert, Integrations- und API-Tests folgen unmittelbar nach Fertigstellung einzelner Komponenten. Explorative Tests und Session-Based Testing ergänzen die automatisierten Prüfungen, um unvorhergesehene Risiken, Usability-Probleme oder Systemgrenzen aufzudecken.
Am Ende jeder Iteration werden die Ergebnisse im Sprint Review vorgestellt und in der Definition of Done überprüft. Qualität wird hier nicht nur als technisches Ergebnis verstanden, sondern auch als Grad der Erfüllung von Nutzererwartungen. Automatisierte Regressionstests, Continuous Integration (CI) und Continuous Deployment (CD) sichern den stabilen Fluss in die nächste Entwicklungsrunde.
Rollen im agilen Qualitätsprozess
Das Rollenverständnis unterscheidet sich im agilen Testen grundlegend vom klassischen Vorgehen. Es gibt keinen isolierten Tester mehr, der nachgelagerte Qualität prüft – Qualität wird zur Teamaufgabe. Der Tester wird zum Qualitätscoach: Er begleitet Anforderungen von Beginn an, sorgt für Testbarkeit, gestaltet Automatisierungsstrategien und unterstützt das Team bei der Auswahl geeigneter Tools und Frameworks. Gleichzeitig fördert er eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung – etwa durch Fehleranalysen, Pair-Testing oder gemeinsame Reviews.
Der Product Owner trägt Verantwortung für die fachliche Qualität, indem er Akzeptanzkriterien definiert und Prioritäten anhand von Kundennutzen setzt. Entwickler:innen sichern technische Qualität über Unit-Tests, Refactoring und stabile Build-Pipelines. Der Scrum Master unterstützt durch Moderation und Prozessdisziplin, sodass Qualität integraler Bestandteil der agilen Arbeitsweise bleibt. Damit wandelt sich Testen von einer kontrollierenden Funktion zu einer kollaborativen Kompetenz – ein geteiltes Verständnis von Qualität, getragen von allen Rollen im Team.
Methoden und Werkzeuge im agilen Setup
Agiles Testen ist methodenoffen, orientiert sich jedoch an gemeinsamen Prinzipien: frühes Feedback, Automatisierung, kontinuierliche Integration und kurze Lernzyklen.
- In Scrum wird Qualität über Sprints, Akzeptanzkriterien und regelmäßige Reviews gesteuert.
- Kanban setzt auf Flussoptimierung, Visualisierung und kontinuierliche Testzyklen ohne feste Iterationsgrenzen.
- In skalierten Frameworks wie SAFe oder LeSS werden Tests über mehrere Teams hinweg synchronisiert – mit gemeinsamen Teststufen, Integrationstrains und System Demos.
- DevOps erweitert diesen Gedanken um Betrieb und Deployment: Automatisierte Pipelines (CI/CD), Infrastructure as Code und Monitoring sorgen dafür, dass Qualität nicht endet, wenn der Code ausgeliefert ist.
Automatisierung ist der Motor dieser Methodik. Regressionstests, Performance-Checks und API-Tests werden kontinuierlich ausgeführt. Dashboards liefern Echtzeitdaten über Stabilität und Abdeckung. Qualität wird damit quantifizierbar und jederzeit überprüfbar. Je nach Setup und Verständnis wird dies gern als entscheidender Unterschied zum phasenbasierten Testen hervorgehoben, aber auch im klassischen Ansatz kann diese Testtiefe und Regelmäßigkeit erreicht werden.
Vorteile des agilen Testens
Agiles Testen bietet enorme Vorteile in dynamischen Entwicklungsumgebungen. Durch frühe und kontinuierliche Tests werden Fehler schnell erkannt, Risiken minimiert und Änderungen effizient umgesetzt. Die Transparenz steigt: Teams erkennen sofort, wie stabil ihr Produkt ist, welche Risiken bestehen und wo Nachbesserungsbedarf liegt. Die Kommunikation verbessert sich, weil Qualität in täglichen Abstimmungen verankert ist. Statt Freigabedokumente zu prüfen, diskutieren Teams Ergebnisse und leiten unmittelbar Maßnahmen ab.
Darüber hinaus fördert agiles Testen Innovation und Kundenorientierung: Feedback aus echten Nutzungsszenarien fließt laufend in die Produktentwicklung ein. Der Übergang zwischen Entwicklung, Test und Betrieb wird fließend – Qualität wird zum lebendigen Prozess statt zum Kontrollpunkt.
Herausforderungen agiler Testumgebungen
Trotz aller Vorteile bringt agiles Testen auch neue Herausforderungen mit sich. Die hohe Geschwindigkeit verlangt Disziplin, technische Kompetenz und strukturierte Organisation. Ohne stabile Automatisierung und sauberes Testdatenmanagement kann die Qualität schnell leiden.
Auch die Nachvollziehbarkeit ist anspruchsvoll: Während das V-Modell auf vollständige Dokumentation setzt, stützt sich agiles Testen auf Transparenz durch Tools, Boards und Pipelines. Das erfordert ein bewusstes Gleichgewicht zwischen Agilität und Prüfbarkeit – insbesondere in regulierten Branchen.
Ein weiteres Spannungsfeld liegt in der Rollenentwicklung: Nicht jedes Teammitglied ist mit testmethodischem Denken vertraut. Fehlende Testkompetenz kann zu Lücken in der Abdeckung führen, wenn Qualität nur implizit verstanden wird. Auch kulturell verlangt agiles Testen mehr Offenheit: Qualität ist keine Hierarchieaufgabe, sondern kollektive Verantwortung – eine Haltung, die gelernt und gelebt werden muss.
Die Lösung liegt häufig in hybriden Modellen, die die Stärken beider Ansätze verbinden: agil im Denken, diszipliniert in der Ausführung. So lassen sich Flexibilität und Nachweisbarkeit vereinen – Qualität bleibt gestaltbar, nachvollziehbar und überprüfbar zugleich.
Brücken zwischen den Welten – hybride Testmodelle
Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Überblick
Klassisches und agiles Testen verfolgen dasselbe Ziel – zuverlässige Software, zufriedene Nutzer:innen. Unterschiede bestehen in Organisation, Rollenverständnis und Geschwindigkeit. Klassische Methoden sind planungsorientiert und formalisiert, agile dagegen iterativ und feedbackgetrieben. Beide Ansätze haben ihren Platz – entscheidend ist, sie im passenden Kontext einzusetzen.
Hybride Modelle – das Beste aus zwei Welten
Viele Unternehmen erkennen, dass reine Modelle selten funktionieren. Hybride Ansätze verbinden das Beste beider Welten: agile Entwicklungszyklen kombiniert mit klassischen QA-Mechanismen. Diese Kombination schafft Geschwindigkeit, ohne Qualität zu opfern. Besonders in großen Programmen oder regulierten Branchen ist das eine pragmatische Lösung, um Wandel und Stabilität in Balance zu halten.
Mini-V-Modelle in agilen Umgebungen
Ein erfolgreiches Hybridkonzept ist das „Mini-V-Modell“ innerhalb agiler Sprints. Während Entwicklung und Test iterativ ablaufen, folgt die QA einem kleinen V-Zyklus: Anforderungen werden präzisiert, Testfälle abgeleitet, automatisiert und rückverfolgt. So bleibt Traceability gewahrt, während Entwicklungsteams agil arbeiten. Dieser Ansatz sichert Qualität auf Mikroebene – strukturiert, aber flexibel genug für moderne Umfelder.
Sinn und Mehrwert hybrider Welten
Hybride QA-Ansätze ermöglichen Stabilität und Anpassungsfähigkeit zugleich. Sie verhindern Überbürokratisierung und stellen dennoch Auditfähigkeit sicher. Besonders wertvoll sind sie, wenn Teams über mehrere Standorte oder Zeitzonen hinweg arbeiten. Sie schaffen einen Rahmen, in dem Organisationen wachsen können, ohne die Qualität ihrer Produkte dem Zufall zu überlassen. Agilität und Struktur müssen sich nicht ausschließen – sie ergänzen sich ideal.
Voraussetzungen für erfolgreiche Anwendung
Damit hybride Testmodelle funktionieren, braucht es klare Prinzipien. Teams müssen verstehen, warum Qualität ein gemeinsames Ziel ist. Führungskräfte sollten Vertrauen fördern statt Kontrolle ausüben. Tools und Prozesse müssen aufeinander abgestimmt sein. Erfolgreiche QA entsteht nicht aus Vorschriften, sondern aus Kultur, Disziplin und einem gemeinsamen Verständnis von Wert und Verantwortung.
QCT als Brückenbauer zwischen klassisch und agil
Agil oder klassisch? Die richtige Antwort ist selten eindeutig. Qualität entsteht dort, wo Struktur auf Flexibilität trifft und Verantwortung geteilt wird. Eine gute Teststrategie ist kein Dogma, sondern ein Werkzeug, das sich an Ziele anpasst. QCT hilft Unternehmen, diesen Weg zu finden und begleitet sie bei genau dieser Herausforderung. Denn jedes Projekt ist individuell, einzigartig und erfordert eine präzise Analyse der Rahmenbedingungen, um das passende Konzept, die sinnvollste Methodik und die effizienteste Umsetzung zu ermitteln.

